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Frederic Vester: Bionik

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  • Fabriqué par: Frederic Vester

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Kapitel 7: Bionik, S. 121: aus ?Die Kunst, vernetzt zu denken: Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Ein Bericht an den Club of Rome“, Taschenbuch, 384 S., Mai 2002, 6. Auflage 2007)

Eine bionische und kybernetische Betrachtung der Vorgänge in der Natur offenbart vor allem auch die gewaltigen Risiken, die eine undurchdachte Technik mit sich bringt. Aus bionischer Sicht kommen zwar die Mikroelektronik und seit neuestem auch die Mikromechanik der Natur noch am nächsten: Schalter in Bakteriengröße, beinahe unendliche Speicherkapazität durch Kombination und Permutation wie in unseren Chromosomen, kaum noch Materialbedarf, minimaler Energieverbrauch, geringste Raumbeanspruchung. Und dennoch sind auch hier die Unterschiede gewaltig. So enthält im Gegensatz zum Mikrochip eines Elektronengehirns jede unserer Gehirnzellen in ihrem Chromosomensatz im Grunde den Bauplan des gesamten Organismus. Bionische Erkenntnisse belegen aber auch, welche ungeahnten Möglichkeiten in der Biosphäre als der ältesten Firma der Welt stecken, die bis heute ungenutzt blieben. Folgen wir ihren Regeln, so wird die dominierende Spezies Mensch durchaus zum eigenen Vorteil weiter am allgemeinen Spiel des Lebens der Natur teilhaben. Claus-Dieter VÖHRINGER, Forschungsvorstand von DaimlerChrysler, hat sich in >Bild der Wissenschaft< deutlich für diese Option ausgesprochen: »Ziel ist es«, sagt er, »Technologien zu schaffen, die dem menschlichen Erkennen, Denken, Handeln und Kommunizieren besser als bisher entsprechen, also mehr am Vorbild Natur ausgerichtet sind. Wer als Techniker längerfristig denkt, für den muss die Natur das absolute Vorbild sein.«

Es könnte ein unschätzbarer Gewinn darin liegen die Bionik zu intensivieren, sprich: der Natur ihre Tricks abzuschauen, und damit dem
Informationsfluss zwischen Mensch und Umwelt eine neue Richtung zu geben: von der Natur zu uns statt umgekehrt - wie etwa derzeit in der Gentechnik. Dort hält man sich nämlich genau an die entgegengesetzte Richtung: mithilfe von Genmanipulationen der Natur unsere spärlichen Kenntnisse aufzuzwingen, verbunden mit unabsehbaren Folgen, die angesichts unseres derzeitigen Wissensstands und mit den uns zur Verfügung stehenden technologischen Mitteln abschätzen zu wollen mehr als vermessen ist.
Leider hat uns die ziviisatorische Überheblichkeit lange Zeit in dem Glauben gewogen, die Gesetze der Biokybernetik durch von uns gewollte, scheinbar profitablere, aber systembelastende Mechanismen ablösen zu können. Die Bionik lehrt uns, auf technischem und organisatorischem Gebiet Hinweise und »Winke« der belebten Natur zu beachten und Vorbilder nachzuahmen, die auch bei uns zu systemverträglichen Resultaten führen können.

Wollen wir die Biosphäre als unsere unersetzbare Lebensbasis nicht allmählich zerstören, kommen wir nicht umhin, auch bei unserem Wirtschaften gewisse grundlegende Systemgesetzmäßigkeiten zu beachten. Resultat ihrer bislang praktizierten Missachtung ist jedenfalls, dass wir keine lebensfähige »Ökosysteme der Wirtschaft« (corporate ecosystems) geschaffen haben, sondern zunehmend kranke Systeme, solche, die im Koma liegen. Zwar lassen sich diese noch eine Zeitlang auf »IntensivStationen« künstlich am Leben erhalten, aber wir besitzen die sehr viel bessere Möglichkeit, schon die Entstehung solcher Fälle durch eine systemgerechte Planung zu vermeiden, und dazu sind nicht einmal Opfer und Verzicht nötig. Vieles gelingt bereits durch Umdisponieren, Umorientieren, Umorganisieren, durch Ersetzen und durch Umstellung von Verfahren, kurz durch einen technisch-ökonomischen Wandel, wie er in der Tat allmählich in Gang kommt.

Zur Zeit durchläuft dieser Wandel mehrere Stadien gleichzeitig. In vielen Bereichen ist die bisherige Phase einer aggressiven Technologie und Wirtschaftsweise bereits durch eine reparierende Phase abgelöst worden, wie es etwa Klärwerke, Entschwefelungsanlagen oder Katalysatoren belegen. Doch diese Reparaturphase kann auch wiederum nur ein Übergangsstadium in Richtung einer biokybernetischen Technologie und Wirtschaftsweise darstellen, die den Gesamtzusammenhang unter Einschluss aller Bedingungen berücksichtigt, denen wir Lebewesen und die von uns geschaffenen künstlichen Systeme nun einmal unterliegen. Dazu müssen wir überprüfen, inwieweit unsere Technik und Gestaltungsprinzipien noch mit ihrem »Urgrund« übereinstimmen, der, wie ich zu zeigen versucht habe, in der lebenden Natur wurzelt - und nicht in de toten Materie, die von Haus aus gar keine Technik kennt. Natur und Technik sind nicht etwa zwei Weiten, wie es so oft heißt, sondern auch die Natur und damit unser eigener Organismus stecken voller Technologien.

Das unbewusste Nachahmen der Strukturen und Funktionen der Natur geschah bislang in der irrigen Meinung, dass dies für ein funktionsfähiges Gesamtsystem genüge. Wir vergaßen dabei, uns auch um die Organisationsformen der Natur zu kümmern, um ihre Wirtschaftsweise und die Grundregeln, nach denen sie diese Techniken einsetzt. Nur alle drei, Struktur, Funktion und kybernetische Organisationsform, garantieren eine auf Dauer lebensfähige Integration in das System Biosphäre. Genau daran könnte unsere Industriegesellschaft eines Tages jedoch scheitern; denn die Organisationsregeln werden wichtig, sobald wir es nicht mehr mit einzelnen »Maschinen«, sondern mit vernetzten Systemen zu tun haben.

Der biokybernetische Denkansatz macht in praktisch allen Bereichen unserer Zivilisationsgesellschaft neue Wertmaßstäbe nötig. Das reicht vom Maschinen- und Fahrzeugbau über die Architektur und die industrialisierte Landwirtschaft bis zu unseren Verkehrssystemen und den übertechnisierten Waffensystemen unserer Verteidigungskonzepte. Haben wir jedoch erst einmal einen systembezogenen Denkansatz angenommen, dann ergeben sich daraus selbst für einen dicht besiedelten Planeten ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten.

Als naturwissenschaftlich orientierter Systemanalytiker, der sich intensiv mit den kybernetischen Strukturen der lebendigen Welt und der Bionik ihrer genialen Organisationsformen beschäftigt hat, wage ich zu behaupten, dass wir nicht am Ende einer Ära der technischen und wirtschaftlichen Innovation stehen, sondern, eine rasche und mutige Herangehensweise vorausgesetzt, erst an deren Anfang. Bedingung dafür ist allerdings, dass wir lernen, von den »Fortschrittskriterien» Abschied zu nehmen, die seit Beginn des Industriezeitalters als Basis für wirtschaftliche Prosperität angesehen wurden.

Bionik Frederic Vester 2002





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