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Die Kunst, vernetzt zu denken: Autor Frederic Vester

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  • Hergestellt von: Frederic Vester

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Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität. Ein Bericht an den Club of Rome (Taschenbuch,) 384 Seiten

Offener Brief an Prof. Peter Sloterdijk

Sehr geehrter Herr Prof. Sloterdijk,

das Buch ?Die Kunst vernetzt zu Denken, Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität ? Der neue Bericht an den Club of Rome“, wird von Herrn Daniel Goeudevert für ?den einzig richtigen Zukunftsweg“ gehalten. In der aktualisierten 6. Auflage 2007 sind hier als typische Beispiele unbeachteter Komplexität die Problemfelder Atomenergie und Gentechnik im 2. Kapitel neu hinzugekommen. Im vierten Kapitel wird der Versuch unternommen den Terrorismus zu analysieren und grundsätzliche Gedanken zu einer kybernetischen Medizin darzulegen. Im Kapitel 5.Wirkungsgefüge, Teilszenarien und Regelkreise wird auch der Klimawandel thematisiert.

In seinem Vorwort zum Buch schreibt Herr Vester zum Schluss : ?So werden in den 20 Kapiteln nicht nur die Fehlerquellen des heute noch üblichen ? die Vernetzung von Systemzusammenhängen missachtenden ? Planens und Wirtschaftens aufgespürt und aus kybernetischer Sicht analysiert, sondern es wird auch ein praktikabler und von jedem Entscheidungsgremium gangbarer Weg beschrieben, die tief greifenden Möglichkeiten einer auf dem vernetzten Denken basierenden Planung und Entscheidungsfindung, nicht zuletzt im Sinne der Agenda 21, für den politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Bereich zu nutzen.“

Der Ehrenpräsident des Club of Rome Herr Ricardo Diez Hochleitner schreibt in seinem Geleitwort zum Buch: ?Möge sein Buch viele interessierte Leser, vor allem aber -Anwender und Täter- finden!“
Dass Sie als ?Anwender und Täter“ auserwählt sind entnehme ich der Tatsache, dass Herr Vester Sie in zwei Textstellen S. 108, 338 zu den Themen Wachstumswahn und 11. September, zitiert hat:

Peter Sloterdijk im Schweizer Wirtschaftsmagazin Cash: ?Die organisierte Idiotie namens Wirtschaft hält uns in Ihrem Wachstumswahn gefangen. Die Art wie produziert wird, schadet oft mehr, als das Produkt nützt.“

Und in die Welt vom 21.1.2002: ?Für den Philosophen Peter Sloterdijk ist ?ein Zwischenfall in - amerikanischen Hochhäusern“ kein ernst zu nehmender Grund, dass er ?im Bereich der Philosophie anders denkt als vorher“. Im Rückblick auf ?die Katastrophenlandschaft des 20. Jahrhunderts“ gehöre für ihn ? der 11. September … eher zu den schwer wahrnehmbaren Kleinzwischenfällen“. (In einer direkten Gegenüberstellung zu Donald Rumsfeld für den sich die Welt seit dem 11. September grundlegend verändert, es sei dies ?ein Kampf gegen die größte Bedrohung der Zivilisation seit den Feldzügen Attilas“.)

Die grundsätzliche Haltung von Herrn Vester ist, dass Veränderungen nur realisiert werden können wenn nicht gegen den Strom geschwommen wird sondern Korrekturen mit dem Strom schwimmend langsam einfließen. Dies hat Herr Vester im Kapitel Fehler im Umgang mit komplexen Systemen (Sechs Fehler im Umgang mit komplexen Systemen) hervorgehoben.
Ich assoziiere dies mit einer Ihrer Aussagen dass die Theorie immer gewaltfrei sein muß. Beispielhaft haben Sie in einer Vorlesung über Hardt/Negries ?Empire, Die neue Weltordnung“ erwähnt, dass in deren Werk indirekt zu Revolution auch unter Anwendung von Gewalt aufgerufen wurde und diese Denkweise prinzipiell abzulehnen sei.

Herr Vester vertritt in der 3. von acht von ihm erstellten, biokybernetischen Grundregeln die These, dass langfristig überlebensfähige Systeme grundsätzlich funktionsorientiert und nicht produktorientiert arbeiten müssen. Denn Produkte kommen und gehen, Funktionen aber haben langfristig Bestand. Die Philosophie, wie sie von Ihnen gelehrt wird, erfüllt wohl unter all den anderen Regeln auch diese, indem Sie in möglichst vielen Bereichen aktiv sind und die Zusammenhänge darstellen. Das harmoniert in meiner Vorstellung auch mit der These, dass Innovationen immer auch aus branchenfremden Bereichen kommen, da Spezialisten nicht kreativ im Sinne der Entwicklung neuer, kreativer Ideen sein können, sondern eher nur vorhandenes Einzelwissen vertiefen.

In der 7. biokybernetischen Grundregel vertritt Herr Vester die These ?dass Symbiosen meist technisch hochinteressante Lösungen sind, nach denen auch wir immer wieder suchen sollten, da sie kurzfristige Ausbeutung durch stabile Kooperation ersetzen. Auch hier bedarf Darwins ?Überleben des Tüchtigsten ? noch einmal eine Korrektur. Denn wie konnte Symbiose überhaupt entstehen, wenn doch jedes Lebewesen laut Darwin versucht, sich auf Kosten der anderen Vorteile zu verschaffen? … Der ökologische und ökonomische Sinn der Symbiose besteht darin, dass sie zu einer beträchtlichen Rohstoff-, Energie- und Transportersparnis aller beteiligten Elemente führt und dadurch auch die Umwelt entlastet“. Robert Axelrodt (Die Evolution der Kooperation) ist der Frage nachgegangen, in welchen Fällen durch gegenseitige Abstimmung oder Nachgeben beide Seiten profitieren, dass jedoch beim Versuch, sich auf Kosten des Anderen durchzusetzen, beide nur verlieren. Meiner Meinung nach ein Beweis dafür, dass das langfristige Überleben rein eigennütziger, kriminell handelnder Strukturen nicht möglich ist.

Um der heutigen Komplexität Herr zu werden, empfiehlt Herr Vester die Zuhilfenahme der von Ihm entwickelten technischen Hilfsmittel, da die heutige, enorm globalisierte Komplexität nicht ohne weiteres darstellbar ist. Dies bedeutet nicht, dass damit ein Instrument geschaffen wurde, um in die Zukunft zu sehen, sondern um aktuelle Situationen transparent zu machen.

In seinem Schlusskapitel schreibt Herr Vester unter anderem:
?Das größte Risiko sehe ich in der Tat darin, dass wir die Welt weiterhin als ein mit fachblindem Expertentum zu eroberndes Spielfeld sehen, jedes Projekt für sich angehen und uns dabei lediglich auf die Perfektion von Details und von Einzelabläufen konzentrieren, ohne die Gesamtzusammenhänge zu betrachten. …… Wir haben gesehen, dass bei der Konfrontation mit der Vernetzung unserer Welt zunächst einmal die Hemmschwelle wächst, sich mit komplexen Abläufen überhaupt zu befassen und man sich lieber auf Einzelfragen und das Tagesgeschäft konzentriert. Damit katapultieren wir uns aber aus der Rolle des Steuermanns in die Rolle des Getriebenen. Getrieben von der sich verselbstständigenden Dynamik des Geschehens um uns herum. Diese Hemmschwelle überwinden zu helfen, Denkhilfen und Instrumente dafür zu entwickeln, wurde übrigens auf den letzen Treffen des Club of Rome als wichtigste Bildungsaufgabe der Zukunft herausgestellt. …nur weil der Mensch selber als auch seine Umwelt nicht als komplexe Organismen, sondern als reparaturfähige Maschinen missverstanden werden. …… Mit auf Teillösungen gerichteten Fragen nehmen wir auch bereits die Art der Antworten vorweg und vergessen so unser Hauptziel: die Überlebensfähigkeit des betreffenden Systems zu erhöhen. Dies ist aber das einzige Ziel, das zu Beginn einer Situationsanalyse vorgegeben ist. Alle anderen Ziele müssen sich aus der Untersuchung des Systemmodells ergeben. Erst diese führen zu wirklich systemrelevanten Fragen, und damit zu der neuen Art von Antworten, die wir so nötig brauchen.
Noch haben wir eine Chance. Sie liegt darin, dass immer mehr Menschen die Welt als ein vernetztes, lebendes System sehen, die Gesetzmäßigkeiten seiner seit Milliarden Jahren bewährten Organisation erkennen und diese nicht nur erhalten, sondern sie verbessern und fördern und - wo nur möglich - in Symbiose statt als Parasit für sich nutzen zu wollen. Denn aus solch einem vernetzen Denken und Handeln heraus können sich ungeahnte Möglichkeiten selbst für einen dicht besiedelten Planeten ergeben, auf dem die dominierende Spezies Mensch dann durchaus noch länger zum eigenen Vorteil am allgemeinen Spiel des Lebens und der Natur teilhat. Wer die Natur beherrschen will, muss ihr gehorchen, sagte einst Francis Bacon. Die Ökologie gibt ihm heute hundertprozentig recht. Denn wer nicht mitspielt, wer falsch spielt oder die Spielregeln missachtet, der fliegt raus ? ein Verfahren, mit dem sich die Natur schon des Öfteren wild gewordener Teilsysteme entledigt hat. Deshalb habe ich auch um die Natur keine Angst, sondern um uns“.

In einer Textstelle am Ende Ihres Buches ?Die Sonne und der Tod“ schreiben Sie: ?Was fehlt, ist eine Denkkunst, die zur Orientierung in der Komplexitätswelt dient. Was fehlt ist eine Logik, die kraftvoll und beweglich genug wäre, um es mit der Komplexität, der Unbestimmtheit und der Immersion aufzunehmen. Wer nach ihr sucht muss seine Lektüreliste umstellen.“

Ich hoffe ich lehne mich nicht zu sehr aus dem Fenster wenn ich meine Meinung insofern äußere, dass ich es für wichtig erachte, dass die Gedanken des Herrn Frederic Vester auch an der HfG Karlsruhe Zugang fänden, indem auch hier wie in anderen Hochschulen sein ?Sensitivätsmodell“ genutzt würde. Auch würde sicherlich im Rahmen einer Austellung im ZKM die Verbreitung der wichtigen Gedanken von Herrn Vester und des Club of Rome weltweitem Interesse Vorschub leisten.

Im 21. Jahrhundert sind die Intellektuellen und Künstler an der Reihe ?mit dem Strom schwimmend“ eine friedliche Revolution, des auf langfristiger Überlebensfähigkeit basierendem Denkens, zu initiieren.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Oberacker
(seit vielen Jahren Mitglied in der Gesellschaft zur Förderung der Kunst und Medientechnologie e.V. in Karlsruhe), www.oberacker.de
25.2.2008, Kopie an Herr Marc Jongen HfG Karlsruhe, Herr Prof. Peter Weibel (ZKM Karlsruhe)





Dieser Artikel wurde am Samstag, 25. Juni 2022 im Shop aufgenommen.

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