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Frederic Vester: Systembeschreibung in der Praxis

  • Artikelnummer: 520072,5
  • Hergestellt von: Frederic Vester

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Leserbrief gesendet am 3.3.2010 an die BNN Redaktion Karlsruhe:

"Von der Konfrontation zum Miteinander" - wie Meinungsbildungsprozesse funktionieren könnten.

Ich finde es schon auffällig was ich in den letzten 12 Monaten in den BNN lesen musste über Streitpunkte wie z. B. Wildparkstadion, Fleischfabrik, U-Strab (Kombilösung) oder neue Rheinbrücke (Nordtangenten-Straßenpoker). Und immer wieder sind es die Gleichen die aufeinander stoßen: Bürgermeister, Gemeinderat, Bürgervereinigung, Wirtschaftsvertreter, Umweltschützer, Vereine ... alle streiten ohne Ende um ihre Belange durchzusetzen.

Es ist doch unfassbar dass wir im 21. Jahrhundert mit Computerunterstützung immer weiter ins Weltall vorstoßen, per Handy, GPS und Internet überall und sofort mit nahezu Lichtgeschindigkeit agieren können, aber ein dutzend verschiedener Meinungen zu einer von allen getragenen Lösung hinzubekommen scheint nicht möglich zu sein.

Mir scheint als würde unserer Denkweise irgendetwas fehlen, um der zunehmenden Komplexität der Welt, in der wir leben, Herr (oder Frau) zu werden. Würden wir nicht den Hut ziehen vor Politikern, die über Ihren Schatten springen und sich wirklich um die Belange (auch die Subjektiven) der Betroffenen kümmerten, indem sie sich mit Allen an einen Tisch setzten und solange an einer Lösung arbeiteten bis sie sich wirklich einig sind. Hätten wir dann nicht viel größeres Vertrauen in deren Fähigkeiten die Zukunft zu meistern.

Wir denken das geht doch gar nicht. Alle an einen Tisch setzen, eine gemeinsame Lösung finden. Alles viel zu komplex. Vielleicht ist es ja wirklich nur mit zusätzlicher Hilfe möglich. Warum sollen sich unsere Politiker nicht der modernsten Technik bedienen und auch ein computergestütztes Hilfsmittel verwenden um die anstehenden Probleme zu lösen. Eine Technik bei der es nicht um die Verarbeitung von mehr Informationen, sondern um deren richtige Auswahl geht. Und solch ein Hilfsmittel gibt es schon und hat schon sehr viele Erfolge regional und international in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik erzielt. Es ist Insidern bekannt unter dem Namen: Sensitivitätsmodell. Es versucht die Wirklichkeit mit allen relevanten Information zu beschreiben.

Nachfolgend ein Beispiel aus dem Buch von Frederic Vester: Die Kunst vernetzt zu Denken, Der neue Bericht an den Club of Rome S.210-212 in der Hoffnung dass in den BNN in naher Zukunft ähnliche positive Schlagzeilen (siehe unten) zu lesen sind.

"... die Planung einer Umgehungsstraße im Kurort Bad Aibling. Die bekannte Moorkur-Stadt im bayerischen Voralpenland (14000 Einwohner) hatte seit geraumer Zeit mit erheblichen Verkehrsproblemen zu kämpfen, weshalb dort seit über 40 Jahren (!) der Bau einer Umgehungsstraße heftig diskutiert wurde.

Das Projekt wurde mit einer multimedialen Präsentation des Systemansatzes eingeleitet, ..... Zu dieser Veranstaltung kam die für einen kleinen Ort von 14000 Einwohnern beachtliche Zahl von 500 Bürgern. Nach Diskussion der unterschiedlichsten Stellungnahmen rekrutierte sich daraus ein Kreis von etwa 15 Personen, die die verschiedenen Richtungen und Interessenlagen repräsentierten und zu einer aktiven Mitarbeit an einer Problemlösung bereit waren. In einem anschließenden Workshop kristallisierten sich bei der Sammlung der Argumente zwei grundsätzliche Positionen heraus: einerseits die Befürchtung, dass ... Die entgegengesetzte Meinung lautete, ... wogegen wiederum die Einzelhändler protestierten, ... Bedenken von Seiten der Naturschützer ins Spiel kamen, und außerdem ... wie die Kosten zwischen Land und Gemeinde aufgeteilt würden.

Kurz und gut, ein typisches komplexes Problem; was damit an Einflussfaktoren, Fakten, Meinungen, Befürchtungen und Hoffnungen, Finanzierungsmodellen und Nebenwirkungen zusammenhing, lag nunmehr vor und musste in ein strukturiertes Systemmodell einfließen. Ausschlaggebend bei diesem Schritt war die computergestützte Moderation der Teilnehmer, die ihnen die Möglichkeit gab, neben Daten, die das Verkehrsaufkommen, Lärm- und Abgasmessungen, Baukosten, den Umsatz der Geschäfte und die Erfassung der Zubringerwege betrafen, auch qualitative Faktoren in die Datenbank mit aufzunehmen - etwa solche, die das Image der Stadt beschrieben, wie »anziehend«, »freundlich«, »abweisend«, aber auch unscharfe Begriffe wie »etwas mehr«, »ziemlich groß«, »viel zu laut« oder »Attraktivität der Landschaft«, »Proteste von Anliegern«, »Konsens des Stadtrats«. Auf diese Weise wurde von Anfang an der Vorteil dieser Vorgehensweise, nämlich Entscheider und Betroffene als Teile des vernetzten Systems interaktiv mit einzubeziehen, voll genutzt.

Bereits bei der Beschreibung und Abgrenzung des Systems und der Problemdarstellung, die objektive und subjektive Informationen, bisher unbeachtete Bedenken, Wünsche und Lösungsmöglichkeiten umfasste, erfolgte eine Weichenstellung in der Vorgehensweise, die über die folgenden Schritte der Sensitivitätsanalyse dann zügig zu einer von allen getragenen Lösung führte.

Die Schlagzeile »Kompromiss nach 44-jährigem Tauziehen«, mit der die Klärung des Problems einer Umgehungsstraße für Bad Aibling in der Presse kommentiert wurde, ist typisch für die vielen Fälle, in denen eine Mediation durch Visualisierung der Zusammenhänge von der Konfrontation zum Miteinander geführt hat. Das ist nur möglich, wenn man als Hauptziel einer Systemuntersuchung von Anfang an die Erhöhung der Lebensfähigkeit des Systems vor Augen hat. Sie ist das einzige Ziel, das vorgegeben ist. Alle anderen Ziele müssen sich aus der Analyse des Systemmodells ergeben."


Hierzu ein Kommentar von Frau Dr. Ursula Engelen-Kefer vom 21.2.2010

Zu Ihrem Vorschlag einer Sensivitätsanalyse möchte ich folgendes anmerken:
Wenn es allen beteiligten Gruppierungen um die rational bestmögliche Lösung lokaler und kommunaler Probleme ginge, könnte die von Ihnen vorgeschlagene computergestützte Sensitivitätsanalyse einen Beitrag leisten.
In der praktisch-politischen Realität geht es aber bei kommunalen Entscheidungen verschiedentlich um subjektive personenbezogene Faktoren- wie Hierarchien, Prestige, mediale Präsenz, persönliche Sympathien/Antipathien, Wahlkampfgetöse. Darüber hinaus spielen Geschäft, Kommerz, Aufstieg und Macht bei vielen kommunalpolitischen Entscheidungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ab und zu fliegen Korruptionsskandale auf- z.B. bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an kommunale private und öffentliche Auftragnehmer oder wie unlängst in Köln bei der mangelhaften Absicherung des U-Bahnbaus, dem dadurch bedingten Einsturz eines Gebäudes und einem Todesopfer.
Trotzdem sollten Sie Ihren Vorschlag einer computergestützten Sensivitätsanalyse einbringen. Zumindest würde bei deren Anwendung klarer, wenn und inwieweit kommunalpolitische Entscheidungen nicht nach objektiven Kriterien getroffen werden.
Herzliche Grüße
Ursula Engelen-Kefer
DR URSULA ENGELEN-KEFER

Dieser Artikel wurde am Freitag, 08. April 2022 im Shop aufgenommen.

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